Lesedauer 7 MinutenWoran du eine Angststörung erkennst, welche typischen Symptome es gibt und was du gegen Angststörungen tun kannst, erfährst du hier.
Bindungsängste kennen viele Menschen und immer mehr sprechen offen darüber. Schon Robbie Williams singt in seinem Song Feel “Before I’m falling in love, I’m preparing to leave her”, auf deutsch: “Bevor ich beginne sie zu lieben, bereite ich mich darauf vor, sie zu verlassen.”
“Erst dachte ich, wir würden gut zusammenpassen. Aber als es verbindlich wurde, habe ich gemerkt, dass das gar nicht so war. Ich gerate echt immer an die Falschen.”
Der Begriff kursiert in den Medien, taucht in Podcasts, Blogartikeln und Zeitschriften auf – doch was hat es damit auf sich? Und kann Bindungsangst sogar mit Verlustangst zusammenhängen?
Unter Bindungsangst versteht man die tief verwurzelte Angst, sich auf eine tiefgehende, emotionale Bindung einzulassen oder sich emotional zu eng an eine andere Person zu binden. Menschen mit Bindungsangst fühlen sich oft unbehaglich mit dem Gedanken, in einer Partnerschaft zu sein und können Schwierigkeiten damit haben, Vertrauen aufzubauen und Nähe zuzulassen.
Dabei spielt es keine Rolle, ob man bereits in einer Beziehung ist oder nicht. Einige Betroffene vermeiden von Anfang an exklusive Beziehungen, manche fühlen sich im Verlauf – je enger die Beziehung wird – zunehmend unwohler und beenden sie bereits, bevor sie verbindlich wird.
Wiederum andere sind seit Jahren in Beziehungen, können sich jedoch kaum öffnen und sind emotional distanziert. Bei der Bindungsangst handelt es sich im Vergleich zu anderen Ängsten nicht um eine psychisch diagnostizierbare Erkrankung. Dennoch ist es ein ernst zu nehmendes Problem, welches das Leben der Betroffenen beeinträchtigen kann und welches es anzugehen gilt.
Der Ursprung für Bindungsangst liegt meist in der Kindheit und ist auf die Beziehung zur ersten Bezugsperson zurückzuführen. Dies ist nicht der erste Freund oder die erste Freundin, sondern in der Regel die Eltern bzw. die Erziehungsberechtigten. Waren diese kaum zugänglich, haben nicht auf uns und unsere Bedürfnisse reagiert und uns wenig oder gar keine Nähe, Geborgenheit und Fürsorge gespendet, so ist es gut möglich, dass wir anstelle eines sicheren Bindungsstils eher einen unsicher-ambivalenten oder unsicher-vermeidenden Bindungsstil entwickelt haben und uns in Beziehungen eher unsicher fühlen.
Wenn man in seiner Kindheit die Erfahrung gemacht hat, also gelernt hat, dass Bindung gleichzusetzen ist mit Gefahr, Verletzung oder Schmerz, ist es naheliegend, dass man Ängste davor entwickelt, (enge, intime) Beziehungen einzugehen.
Anhand des unsicher-ambivalenten Bindungsstils wird bereits deutlich, dass Verlustangst und Bindungsangst eng miteinander zusammenhängen können. Verlustangst beschreibt die Angst vor dem Verlust einer wichtigen Bezugsperson, die einem (teilweise) Sicherheit oder Geborgenheit vermittelt. Sie hängt meist mit frühen (traumatischen) Verlust- und Trennungserfahrungen zusammen.
Häufig wird Verlustangst als eine mögliche Ursache der Bindungsangst genannt, denn die Angst vor dem Verlust einer Bezugsperson oder einer engen Bindung kann dazu führen, dass man sich aus einem Selbstschutz heraus in seinen Beziehungen emotional stark distanziert oder Beziehungen ganz und gar vermeidet. Aufgrund dieser Distanzierung kann sich die Bindungsangst entwickeln und verstärken. Hierbei gibt es einen tiefen inneren Konflikt: Einerseits werden Nähe und Sicherheit gesucht, andererseits ist die Angst vor Verletzung und dem Verlassenwerden so groß, dass man es lieber vermeidet, sich auf eine Beziehung einzulassen oder sich innerhalb einer Beziehung emotional, verletzlich und verwundbar zu zeigen.
Wer sich in der Kindheit nicht auf seine Bezugspersonen verlassen konnte, wird es auch in erwachsenen Beziehungen nicht leicht finden. Denn unsere erste Bindungserfahrung prägt uns für das gesamte Leben und hat einen großen Einfluss auf unser Weltbild und unser Urvertrauen.
Doch auch spätere Beziehungserfahrungen und erste romantische Partner:innen können uns in unserem Bindungsverhalten nachhaltig beeinflussen und prägen. Haben wir jegliche (vor allem lang währende) Beziehungen als etwas Unsicheres, Unvorhersehbares und Bedrohliches erfahren und wurden wir von unseren Partner:innen häufig (emotional oder körperlich) verletzt, können auch im späteren Alter Bindungsängste als Schutz vor Verletzung entstehen. Wir ziehen uns dann in uns selbst zurück und haben Schwierigkeiten zu vertrauen. Als Schutz vor möglichen Verletzungen öffnen wir uns anderen potentiellen Bezugspersonen nicht mehr.
Jedoch ist Bindungsangst nicht nur auf “offensichtliche” Verletzungen zurückzuführen, sondern kann auch in Zusammenhang mit weniger eindeutigen Verhaltensweisen entstehen: Hattest du beispielsweise in deiner Kindheit oder in ersten Liebesbeziehungen häufig das Gefühl, viel für Liebe und Geborgenheit tun oder leisten zu müssen und dich ständig anpassen zu müssen, dann kann es gut sein, dass Beziehung für dich unterbewusst mit viel Anstrengung, Anpassung und Mühe assoziiert ist.
In der ständigen Erfüllung der Erwartungen Anderer, übersieht man eigene Bedürfnisse nicht nur, man verliert auch häufig den Zugang zu ihnen und fühlt sich selbst eigentlich nur, wenn man alleine ist. Dann ist Beziehung gleichzusetzen mit Erfüllung von Erwartungen, Einengung und Aufgabe von “Freiheit”. Es entsteht ein großes Bedürfnis nach Autonomie und häufig die (unterbewusste) Annahme, dass man in Beziehungen nicht frei sein könne, sodass Beziehungen vermieden werden. Da die Annahme besteht, dass Bindung und Autonomie nicht gleichzeitig erfüllt werden können, bleibt man in der Autonomie.
Um sich also davor zu schützen, verletzt zu werden oder in der ständigen Überanpassung seine eigenen Bedürfnisse zu übergehen, entwickeln viele Menschen Bindungsängste als eine Art Selbstschutz.
Bindungsangst kann sich auf unterschiedlichste Arten und Weisen bemerkbar machen, denn jeder Mensch entwickelt einen anderen Umgang mit seinen Ängsten:
Trotz bestehender Bindungsängste ist Bindung jedoch eins der menschlichen Grundbedürfnisse und (teilweise unterbewusst) tief im Menschen verankert. Bindungsangst als Selbstschutzstrategie ist eine klare Hürde beim Erfüllen unseres Grundbedürfnisses nach Bindung. Daher ist es wichtig, sich mit seiner Bindungsangst auseinanderzusetzen, um sie zu überwinden und glückliche Beziehungen führen zu können. Wie du das angehen kannst, das erfährst du in unserem nächsten Artikel.
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