Lesedauer 7 Minuten Veränderte Stimmung, Schlafmuster oder Interessen? Erfahre, wie du psychische Frühwarnzeichen erkennst und ihnen vorbeugst.
Wie unangenehm es sein kann, wenn körperliche Bedürfnisse nicht erfüllt sind, hast du selber schon häufig erlebt: bei Hunger, Durst oder Müdigkeit. Diese Empfindungen motivieren uns, zu essen, zu trinken oder uns auszuruhen und sichern uns das Überleben. Wenn körperliche Bedürfnisse länger nicht befriedigt werden, kann das zu Krankheiten und anderen Schäden führen. Ganz ähnlich ist das auch mit psychischen Bedürfnissen: Werden sie nicht erfüllt, treten auch hier unangenehme Gefühle und Empfindungen auf. Sie sind zwar nicht unbedingt überlebenswichtig, allerdings kann eine (dauerhafte) Frustration der Bedürfnisse schwere Folgen bis hin zu psychischen Störungen haben. Es ist daher wichtig, dass wir uns mit unseren Bedürfnissen und deren Erfüllung auseinandersetzen. Dazu erklären wir dir hier was psychische Grundbedürfnisse überhaupt sind und was sie mit unserer psychischen Gesundheit zu tun haben.
In der Psychologie sind viele verschiedene Theorien zu Anzahl, Art und Bedeutung psychischer Grundbedürfnisse vorgeschlagen und untersucht worden. Die Beschreibungen des Psychologen und Forschers Klaus Grawe sind dabei besonders anerkannt, umfangreich untersucht und wissenschaftlich belegt. Er unterscheidet vier Grundbedürfnisse, die im Folgenden näher beschrieben werden. Alle Menschen haben diese Grundbedürfnisse, unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht usw. Sie sind aber bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt.
Das Bedürfnis nach Bindung spielt von Beginn unseres Lebens eine besonders wichtige Rolle. Als Babys sind wir von der Zuneigung, Liebe und Versorgung unserer Bezugspersonen vollkommen abhängig und können unser Überleben nicht allein sichern. Daher ist mit Bindung auch das Bedürfnis nach einer verlässlichen Bezugsperson, Schutz und Nähe gemeint. Wird es erfüllt, entwickeln wir Vertrauen und können uns und die Umwelt selbstsicher erforschen. Wird jedoch ein Mangel an Bindung erlebt, kann das zu Entwicklungsstörungen, Bindungsproblemen und anderen psychischen Störungen führen. Aber auch wenn wir älter werden und uns um uns selber kümmern können, ist Bindung sehr wichtig für unsere Zufriedenheit und unsere Gesundheit.
Wahrscheinlich hast du bei kleinen Kindern schon mal gesehen, dass sie unbedingt etwas selber machen wollen. Das ist das Bedürfnis nach Autonomie, also Unabhängigkeit von anderen und nach Kontrolle. Ist dieses Bedürfnis erfüllt, entwickelt sich die Selbstwirksamkeit (d.h. zu verstehen: “Ich kann mit meinem Verhalten die Umwelt verändern”). Um Kontrolle und Selbstkontrolle zu erlangen, ist es allerdings wichtig, eine Orientierung zu bekommen, und realistische Grenzen zu erlernen. Verletzt wird dieses Bedürfnis, wenn wir uns nicht ausprobieren konnten, gar keine Regeln gesetzt bekommen haben oder gelernt haben, dass Situationen nicht vorhersehbar und veränderbar sind (z.B. bei wiederholten Mobbingerfahrungen oder Jobverlust). Das kann dann unter anderem zu einer empfundenen Hilflosigkeit und Abhängigkeit von anderen führen.
Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und -schutz (siehe letzter Artikel) ist damit verbunden, ein positives Bild von uns selbst zu bekommen. Wir wollen gut und kompetent sein, und wertgeschätzt werden. Die verbundenen Emotionen kennst du: hast du ein Ziel erreicht oder Lob bekommen, fühlst du Stolz und Freude. Wird oder wurde das Bedürfnis jedoch nicht erfüllt, kann das zu Selbstzweifeln, Perfektionismus, Kontrolle, Depressionen und Ängsten führen. Das kann passieren, wenn wir in einem abwertenden oder extrem leistungsorientierten Umfeld aufgewachsen sind.
Auch das kennst du sicher: Für die Prüfung lernen oder die Wohnung aufräumen wird eher aufgeschoben, als sich mit Freunden zu treffen, Schokolade zu essen oder einen Film zu schauen. Wir streben alle danach, angenehme Erfahrungen zu erleben und unangenehme oder schmerzhafte Erfahrungen zu vermeiden. Aktiviert werden dabei entweder positive Emotionen und das Annäherungssystem (Motivation, etwas zu tun) oder negative Emotionen und Vermeidungsverhalten. Dennoch sollten wir auch lernen, mit Unlust umzugehen und sie mal auszuhalten, z.B. wenn wir später eine gute Note bekommen wollen, oder uns eine schöne Wohnung leisten wollen. Zu streng sollten wir mit uns aber nicht sein, denn für das Wohlbefinden und die Zufriedenheit ist es sehr wichtig, dass angenehme und unangenehme Aktivitäten ausgeglichen sind. Gönn dir also unbedingt auch gutes Essen, Parties, Faul zu sein oder was dir gut tut!
Es ist nicht möglich, alle unsere Grundbedürfnisse zu jeder Zeit zu 100% erfüllt zu haben. Nach einem Jobwechsel, bei neuen Aufgaben oder bei viel Stress ist es normal, dass Grundbedürfnisse mal kurzzeitig nicht erfüllt sind. Bewältigen wir diese Phasen, können wir uns dadurch weiterentwickeln, neue Fähigkeiten und mehr Selbstvertrauen mitnehmen. Bleiben unsere Bedürfnisse langfristig nicht erfüllt oder stehen sie in Konflikt zueinander (z.B. zwischen Bindung und Autonomie: Partnerschaft vs. Unabhängigkeit), kann das zu negativen Emotionen und Empfindungen kommen.
Bei anhaltend negativen Erfahrungen, versucht die Psyche natürlich, diese ‘Spannung’ zu reduzieren. So kann es zur Entstehung von psychischen Symptomen kommen, die bei diesem Zustand helfen sollen. Beispiel: Die Ausprägung von Angstsymptomen als Bewältigungsversuch bei anhaltender Mobbingerfahrung kann dich davor bewahren, dich erneut in eine soziale Situation zu begeben. Das ist in dem Moment hilfreich und schützt dich, langfristig verstärkt Vermeidung jedoch nur die Ängste und schränkt dich ein.
Aber auch umgekehrt kann die Entstehung einer psychischen Störung Bedürfnisse frustrieren (z.B. das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung, oder Autonomie “Ich bekomme das nicht mehr alleine hin.”). Wird die psychische Störung dann in einer Therapie bearbeitet, erholen sich auch die frustrierten Bedürfnisse.
Wie du siehst, haben Grundbedürfnisse und deren Erfüllung einen erheblichen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen, wie wir denken und wie wir uns verhalten. Daher ist es wichtig, uns mit unseren Bedürfnissen auseinanderzusetzen, sie zu verstehen und einen Umgang mit ihnen zu finden – auch, wenn das gar nicht immer so einfach ist. Empfindest du jedoch häufiger negative Gefühle wie Traurigkeit, Angst oder Scham (womöglich durch unerfüllte Bedürfnisse) und fühlst dich dadurch eingeschränkt, kann dir eine Psychotherapie helfen! Dort kann individuell besprochen werden, welche Emotionen bei dir mit unerfüllten Bedürfnissen zusammenhängen, und wie du damit umgehen kannst.
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