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Juli 10, 2023

Psychische Frühwarnzeichen: Wie du sie erkennst und was du machen kannst

Lesedauer 7 Minuten

Frühwarnzeichen sind erste psychische und körperliche Anzeichen, die dir signalisieren, dass etwas nicht stimmt. Sie sind wie die Warnleuchten im Auto, die wir so gerne mal ignorieren, wenn wir schnell ans Ziel kommen wollen. Das kann jedoch dazu führen, dass der Motor explodiert oder das Auto für eine längere Zeit in die Werkstatt muss. Wäre es dann nicht klüger, doch schon eher auf die Warnlampen zu achten, um größere Schäden zu verhindern?

"Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich wieder mehr zurückziehe und keine Lust habe, mich mit meinen Freundinnen zu treffen. Das hat mich total überfordert. Zum Glück hatte ich noch meine Notfallliste mit den hilfreichen Strategien, da hätte ich sonst vielleicht gar nicht so schnell dran gedacht."

Bist du manchmal erschöpft, reizbar, häufig krank oder ziehst du dich zurück? Du bist gestresst und fragst dich, ob das noch normal ist oder schon besorgniserregend? Handelt es sich um eine länger andauernde psychische Belastung oder vielleicht sogar einen Rückfall nach der Bewältigung einer psychischen Störung? Häufig gibt es “Warnsignale” unseres Körpers und der Psyche, die auf eine erhöhte psychische Belastung oder sogar eine (erneute) psychische Störung hinweisen können. Es ist sinnvoll, diese Frühwarnzeichen zu identifizieren und einzuordnen, um eine psychische Krise bewältigen und abwenden zu können. Was genau psychische Frühwarnzeichen sind, wie du sie erkennst und wie du damit umgehst, liest du hier. 

Was sind psychische Frühwarnzeichen?

Frühwarnzeichen sind Warnsignale des Körpers und der Psyche, um dich darauf hinzuweisen, dass etwas nicht stimmt oder dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist. Dieses körpereigene Schutzsystem schlägt an, wenn es zu andauernder Belastung oder Stress kommt, um dir zu zeigen, dass du dich etwas zurücknehmen und für dich sorgen solltest.

Frühwarnzeichen können also bereits vor der Entwicklung einer psychischen Störung auftreten, oder auch nach der Bewältigung einer psychischen Störung auf einen Rückfall hinweisen. Sie äußern sich auf ganz verschiedenen Ebenen: in den Gedanken, Gefühlen, im Verhalten oder auch körperlich. Psychische Frühwarnzeichen sind sehr vielfältig und individuell, doch jeder Mensch hat solche Signale. Es ist jedoch nicht immer ganz einfach, zu erkennen, ob es sich gerade um “normalen” Stress oder ein Frühwarnzeichen für eine psychische Störung oder Belastung handelt. Und sehr häufig verkennen oder missachten wir solche Signale auch, z.B. weil wir nicht besonders gut auf uns achten oder zu viel zu tun haben. 


Warum ist es wichtig, Frühwarnzeichen zu erkennen?

Missachten oder verkennen wir psychische Frühwarnzeichen, kann es passieren, dass wir über unsere Belastungsgrenzen gehen. Dies kann zunächst über einen längeren Zeitraum passieren, ohne dass wir es bemerken. Doch das ist gefährlich und meistens werden Frühwarnzeichen psychischer Belastung immer lauter und stärker, wenn wir uns nicht schützen, sodass wir sie irgendwann nicht mehr übersehen können. Im schlimmsten Fall ist es dann jedoch bereits zu der Entwicklung einer psychischen Störung oder eines Rückfalles gekommen. Daher ist es sinnvoll, sich damit zu beschäftigen, wie Frühwarnzeichen sich bei dir äußern und wie du mit psychischer Belastung umgehen kannst, denn je früher Gegenmaßnahmen ergriffen werden, desto wahrscheinlicher kann eine psychische Krise oder Störung abgewandt werden. Auch wird die Wahrscheinlichkeit einer Chronifizierung einer psychischen Störung reduziert, wenn du deine Frühwarnzeichen kennst und entsprechend handeln kannst. Doch wie äußert sich die psychische Belastung eigentlich?

Die häufigsten psychischen Frühwarnzeichen

Wie oben bereits genannt, sind Frühwarnzeichen sehr vielfältig und individuell. Dennoch kann man “typische” allgemeine Frühwarnzeichen zusammenfassen, die üblicherweise gehäuft bei psychischer Belastung auftreten. Das heißt aber nicht, dass du alle davon auch bei dir wiederfinden musst. Das kann sich zudem, je nach psychischer Störung, unterscheiden. 

Veränderungen im Schlafmuster 

Ein Symptom, das bei vielen psychischen Störungen auftritt, aber auch ein sehr typisches Frühwarnzeichen für psychische Be- oder Überlastung ist, ist ein veränderter Schlaf. Fällt dir zum Beispiel auf, dass du sehr viel mehr Schlaf als sonst benötigst, um den Alltag zu bewältigen, könnte das ein Frühwarnzeichen sein. Aber auch ein schlechter Schlaf, also Schwierigkeiten beim Einschlafen oder Durchschlafen, häufiges oder frühes Erwachen kann ein solches Warnsignal sein. Oftmals gehen diese Veränderungen auch ineinander über, denn wenn der Schlaf durch Unterbrechungen sehr schlecht ist, ist es wahrscheinlicher, dass du dich müde, erschöpft oder kraftlos fühlst, und dich entsprechend nach mehr Schlaf sehnst. 

Stimmungsschwankungen und emotionale Instabilität

Sehr viele Menschen berichten zudem davon, dass sich die Stimmung bei oder vor andauernder psychischer Belastung verändert. Ein Frühwarnzeichen als Hinweis dafür könnte zum Beispiel Stimmungsschwankungen sein. Bist du sonst eher ausgeglichen, könnten starke oder unangenehme Gefühle genauso wie Stimmungsschwankungen ein Anzeichen dafür sein. Auch kann es sein, dass du dich gereizter oder schneller wütend fühlst. Es kann zu Überforderung und Hilflosigkeit kommen, und auch Ängste, Schuldgefühle und eine allgemeine Unzufriedenheit können psychische Warnsignale darstellen. 


Verlust des Interesses an früheren Hobbys und Aktivitäten

Zudem kann sich Belastung auf deine Interessen und dein Verhalten auswirken. Bemerkst du, dass du weniger Lust auf Dinge hast, die du früher gern gemacht hast oder von denen du weißt, dass sie dir gut tun? Dann kann das ein psychisches Frühwarnzeichen sein. Häufig steht eine allgemeine Erschöpfung dahinter (“das ist zu anstrengend"), oder die Annahme, dass diese Aktivitäten (z.B. Sport, kochen, auf Veranstaltungen gehen usw.) keinen Spaß mehr machen. Das wirkt sich in der Regel negativ auf das Verhalten aus: Also nicht nur das Interesse an Hobbys oder Aktivitäten verändert sich, sondern wir vermeiden diese Aktivitäten auch eher und ziehen uns zurück.

Weniger Kontakt zu anderen Menschen

Vermeidung- oder Rückzugstendenzen sind auch im sozialen Bereich sehr häufig ein psychisches Frühwarnzeichen. Treffen mit Freund:innen können dir überfordernd oder anstrengend vorkommen. Die Wahrnehmung könnte sein, dass es einfacher ist oder dir besser gehen würde, wenn du zu Hause bleibst. Die Gründe dafür, Verabredungen mit Freund:innen nicht mehr wahrnehmen zu wollen oder nicht mehr zu initiieren, können unterschiedlich sein, stellen jedoch ein häufiges Frühwarnsignal dar. 

Körperliche Symptome ohne klare medizinische Ursache

Psychische Belastung bedeutet für den Körper immer auch Stress. Für einen kurzen Zeitraum ist die körperliche Stressantwort (erhöhter Blutdruck und Herzschlag, Muskelanspannung, schnellere Atmung, vermehrte Schweißproduktion) nicht schädlich. Bei längerer Belastung wird diese Reaktion häufiger hervorgerufen, was sich negativ auf die körperliche Gesundheit auswirken kann. Fallen dir körperliche Symptome auf, wie zum Beispiel Schwindel, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, häufige Muskelverspannungen oder häufige Erkältungskrankheiten, für die keine klare medizinische Ursache gefunden werden kann, deutet das auf ein psychisches Frühwarnzeichen hin. Tatsächlich ist es sogar sehr oft so, dass die oben genannten Frühwarnsignale ignoriert oder nicht bemerkt werden, bis sich der Körper deutlich bemerkbar macht.

Was sind Frühwarnzeichen einer Depression?

Wie oben schon genannt, sind Frühwarnzeichen individuell und können sich auch zwischen den einzelnen psychischen Störungen unterscheiden. Typische Frühwarnzeichen einer Depression sind in der Regel Symptome einer Depression in abgeschwächter Form sowie weitere typische (die oben genannten) Frühwarnzeichen. Depression ist eine Störung, die sich vor allem in der Stimmung, aber auch im Verhalten und in den Gedanken zeigt. Anzeichen dafür können also folgende sein: 

  • eine veränderte Stimmung: Stimmungsschwankungen, Traurigkeit, Schuldgefühle oder Überforderung
  • Vermeidungs- und Rückzugsverhalten:Treffen mit Freund:innen, Hobbys oder Aktivitäten einstellen
  • Konzentrationsprobleme
  • Denkblockaden
  • negative, kreisende Grübelgedanken

Was sind Frühwarnzeichen einer Angststörung?

Auch die Frühwarnzeichen von Angststörungen äußern sich neben den typischen psychischen Frühwarnzeichen in abgeschwächten Symptomen der Angststörungen. 

  • Du fühlst dich ängstlicher und unsicherer als normalerweise
  • Du hast eine generelle Nervosität, die sich körperlich und psychisch äußern kann (grübeln, sich sorgen, Magen-Darm-Beschwerden, Herzklopfen, Schwitzen, innere Unruhe)
  • Du meidest bestimmte Orte, Aktivitäten oder auch Treffen mit Freund:innen um sich sicherer zu fühlen. 

Ganz wichtig bei allen potentiellen Frühwarnzeichen: Es geht immer um eine Veränderung im Vergleich dazu, wie du dich normalerweise wahrnimmst, wenn es dir gut geht, nicht im Vergleich zu irgendeinem Ideal. Veränderungen sind individuell und nur du weißt, ob sich etwas verändert hat. 

Erkennen und Handeln bei psychischen Frühwarnzeichen

Die Bedeutung der Selbstreflexion

Um bei Frühwarnzeichen rechtzeitig zu handeln, musst du sie erst einmal wahrnehmen und erkennen. Daher wird der Selbstreflexion oder Selbstwahrnehmung eine große Rolle zugeschrieben. Hierbei sind Achtsamkeitsübungen (können wir da was verlinken?) hilfreich, mit denen du die Aufmerksamkeit auf deine Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse und deinen Körper lenkst. Es ist hilfreich, immer mal inne zu halten und dich zu fragen: "Wie geht es mir gerade, was brauche ich gerade?”. 

Aber Achtung: Veränderungen (auch Verschlechterungen) in der Stimmung, im Verhalten, in den Gedanken und im Körper sind von verschiedenen Faktoren abhängig und deuten nicht immer unbedingt auf eine psychische Störung oder einen Rückfall hin. Problematisch ist es, wenn du ständig nur auf mögliche Anzeichen einer Erkrankung achtest. Denn wenn du ständig in dich hinein horchst und dich fragst: "Bin ich depressiv/ängstlich? Bin ich heute erschöpft oder gereizt? "Habe ich heute schlecht geschlafen?” usw. könnte es passieren, dass du “normale” Alltagsphänomene mit Frühwarnzeichen verwechselst oder nicht mehr über anderes nachdenken kannst und somit dafür sorgst, dass es dir tatsächlich schlechter geht. Sei dir also immer bewusst, dass kurze Veränderungen auch zum normalen Lebens dazu gehören, und nicht unbedingt auf eine (erneute) psychische Störung hinweisen müssen. 

Hilfe suchen und Unterstützung annehmen

Bemerkst du erste Veränderungen bei dir, kann es hilfreich sein, mit anderen darüber zu sprechen. Das kann die Familie oder Freund:innen sein. Gespräche mit anderen können dich einerseits entlasten, andererseits kannst du hier vielleicht von anderen erfahren, wie sie mit Frühwarnzeichen umgehen. Bei bestimmten Symptomen (Rückzug, Vermeidung) kann es auch helfen, sich erst recht zu verabreden oder gemeinsam zum Sport zu gehen, um den negativen Auswirkungen entgegenzuwirken. 

Entwicklung eines persönlichen Krisenplans

Einen Krisen- und Notfallplan zu erstellen, kann sehr hilfreich sein, auch wenn du dir nicht sicher bist, ob du in eine psychische Krise kommen wirst. Denn es geht vor allem darum, diesen Plan in einer Krise schnell zur Hand haben zu können.

Für einen Notfallplan frage dich folgendes (und schreib es am besten irgendwo auf, wo du in einer Krise schnell heran kommst):

  1. Frühwarnzeichen: Was sind deine typischen Warnzeichen bei psychischer Überlastung (auf den vier Ebenen Gedanken, Gefühle, Verhalten und Körperreaktionen)? Als Hilfestellung kannst du hier an Situationen denken, in denen du sehr gestresst warst oder du bereits eine Krise erlebt hast.
  2. Was kann ich selbst tun, um mir zu helfen? Achte hier besonders auf die folgenden Aspekte:
    - Erlernte Fähigkeiten (z.B. aus einer Therapie), die mir bereits geholfen haben
    - Selbstfürsorge: Achtest du gut auf dich, z.B. mit genügend Pausen, ausreichend  Bewegung, ausreichend Schlaf und schönen Aktivitäten?
    - Werte- und Zielorientiertes Handeln: Tust du im Alltag auch Dinge, die dir wichtig sind und die du sinnvoll findest?
  3. Wie kannst du dein soziales Netzwerk aktivieren? Schreibe dir Bezugspersonen auf, die dir gut tun, zu denen du vertrauen hast und an die du dich in schwierigen Situationen wenden kannst. 
  4. An wen kannst du dich wenden, wenn die bisherigen Strategien nicht geholfen haben? Notiere dir hier Anlaufstellen (z.B. Hausärzt:in, Psychotherapeut:in oder für akute Krisen auch die Adresse oder Telefonnummer der nächsten Klinik)

Professionelle Unterstützung und Behandlungsmöglichkeiten

Bei andauernder Belastung und Frühwarnzeichen, die nicht von allein oder durch deine eigenen Möglichkeiten wieder verschwinden, ist es hilfreich, sich (erneut) professionelle Unterstützung zu suchen. Bei Hausärzt:innen kannst du krankgeschrieben werden oder weitere Behandlungsmöglichkeiten wie eine mögliche psychotherapeutische Behandlung besprechen und einleiten.

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Friederike Schubbert

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