Lesedauer 7 Minuten Veränderte Stimmung, Schlafmuster oder Interessen? Erfahre, wie du psychische Frühwarnzeichen erkennst und ihnen vorbeugst.
Situationen wie diese kennen wir wahrscheinlich alle: Du vergisst bei einem Vortrag was du sagen wolltest, schämst dich dafür, wirst vielleicht rot oder beginnst zu stottern. Oder du hast vergessen deiner Freundin zum Geburtstag zu gratulieren und bekommst ein schlechtes Gewissen. Scham und Schuld sind ganz normale und sogar wichtige Emotionen. Bei Personen mit psychischen Störungen spielen sie aber häufig eine größere Rolle. Besonders Betroffene einer sozialen Phobie erleben Scham häufig stärker, hinzu kommt eine große Angst vor den Bewertungen anderer. In oben genannter Situation würden sie vielleicht versuchen, Vorträge in Zukunft zu vermeiden und damit die Angst jedoch nur steigern. Ein Teufelskreis. Auch Menschen mit anderen psychischen Störungen können vermehrt Scham- und Schuldgefühle empfinden. Beispielsweise, wenn sie sich als eine Belastung für ihr Umfeld sehen oder wenn sie nicht mehr so leistungsfähig sind wie früher. Was Scham- und Schuldgefühle sind, warum wir diese Emotionen empfinden und wie du mit ihnen umgehen kannst, erfährst du hier.
Scham und Schuld sind beides sekundäre Emotionen, die sehr komplex und durchaus verschieden sind. Da sie allerdings häufig gemeinsam auftreten, können sie leicht verwechselt werden. Ein Unterschied besteht in der Bewertung: Während Scham durch die negative Bewertung des eigenen Selbst entsteht („Ich bin ein peinlicher Mensch“), wird Schuld durch die negative Bewertung eines konkreten Verhaltens erzeugt („Ich habe etwas Falsches getan“).
Scham entsteht durch ein Gefühl der Unzulänglichkeit, d.h. wenn unser Selbstbild von dem abweicht, wie andere Personen uns sehen, oder wie wir uns selbst idealerweise sehen. Daraus resultiert häufig eine Angst vor Beschämung, Ausgrenzung und Zugehörigkeitsverlust.
Schuld entsteht durch den Verstoß gegen eine Norm, Regel oder ein Verbot (z.B. eine Verabredung vergessen zu haben). Andere müssen die Normverletzung nicht bemerkt haben, das Schuldgefühl wird durch unser eigenes moralisches Gewissen erzeugt.
Scham und Schuld gehören jedoch beide zu den moralischen Emotionen, die in bestimmten sozialen Normen und Regeln verankert sind. Sie treten beide auf, wenn bestimmten Werten, Idealen, Normen und Ansprüchen nicht entsprochen werden konnte. Beide gehören außerdem zu den selbstbezogenen Emotionen, die gleichzeitig mit der Entstehung eines Selbstkonzeptes im Kleinkindalter entstehen.
Schuld- und Schamgefühle sind negative Emotionen, die die meisten von uns versuchen, schnell wieder loszuwerden oder gänzlich zu vermeiden. Tatsächlich sind sie aber sehr nützlich: Sie sind die Voraussetzung für Selbstkontrolle und die eigene Handlungssteuerung. Sie sorgen dafür, dass wir die Regeln und Verhaltensweisen einer Gesellschaft einhalten und uns als Teil einer Gruppe verhalten. Dadurch sichern sie uns das Überleben. Menschen, die Scham und Schuld erleben und diese auch zeigen, werden von anderen generell als positiv wahrgenommen. Stell dir eine Person vor, die gegen eine Norm verstoßen hat, und keine Emotionen zeigt, sich nicht entschuldigt. Wir umgeben uns lieber mit Menschen, die Scham und Schuld zeigen können. Das stellt sicher, dass die gleichen Werte und Normen geteilt werden und fördert den Zusammenhalt und das Mitgefühl. Doch was ist, wenn diese Emotionen sehr intensiv sind und häufig auftreten?
Scham- und Schuldgefühle haben einen negativen Einfluss, wenn sie übermäßig auftreten, uns im Alltag beeinträchtigen und wir bestimmte Situationen aus Angst vor ihnen vermeiden. Sich häufig für alles schuldig und verantwortlich zu fühlen, ist weder gesund noch, wie oben beschrieben, hilfreich. Genauso ist das ewige Grübeln über eigene Fehler und damit verbundene Scham nicht sinnvoll. Dennoch kommen diese Emotionen bei Menschen mit psychischen Störungen wie Angsterkrankungen, Suchterkrankungen und Depressionen häufig vor. Sie können sich dann im Umgang mit anderen Menschen gehemmt und unsicher fühlen, was zu einer Vermeidung von sozialen Situationen und Kontakten kommen kann. Die negativen Emotionen und Gefühle können außerdem so sehr im Vordergrund stehen, dass andere (positive) Emotionen gar nicht mehr oder weniger gespürt werden.
Dadurch, dass psychische Krankheiten noch immer ein Tabuthema in unserer Gesellschaft darstellen, schämen sich viele Menschen mit einer psychischen Störung für ihren Gesundheitszustand. Dies verhindert leider, offen darüber zu sprechen und Schamgefühle abzubauen. Auch Schuldgefühle sind in diesem Zusammenhang nicht selten: Wir glauben, Schuld an der Entstehung einer Krankheit zu sein, oder dass wir sie hätten verhindern müssen. Scham- und Schuldgefühle treten zusätzlich dadurch auf, wenn wir uns aufgrund einer (psychischen) Krankheit als eine Belastung für die Familie oder das soziale Umfeld empfinden. Gedanken wie “Ich bin schuld daran, dass meine Eltern unglücklich sind” oder “Ich bin schuld daran, dass mein Partner keine normale Beziehung führen kann” können auftreten.
Auch die Angehörigen von (psychisch) kranken Menschen können Schuld oder Scham empfinden. Etwa wenn sie nicht mehr alleine helfen können, oder auch wenn alte Angehörige in ein Pflegeheim kommen sollen.
Scham und Schuld zu verdrängen oder vermeiden, ist nicht die Lösung. Sie gehören in unseren Alltag und sind nützlich. Im Übermaß sind diese Emotionen jedoch schädlich und es ist wichtig, einen funktionalen Umgang damit zu finden. Hier findest du einige Tipps:
Scham und Schuld zu empfinden, ist ganz normal und sogar sehr hilfreich. Aber an einer psychischen Erkrankung ist niemand schuld! Psychische Erkrankungen dürfen nicht Anlass für Beschämungen oder Schuldzuweisungen sein. Wenn wir miteinander ins Gespräch gehen, können wir empfundene Scham und Schuld (z.B. darüber, für jemanden eine Belastung zu sein) gemeinsam beurteilen und bearbeiten, dabei helfen sie abzubauen und als normalen Teil unseres Lebens anzuerkennen.
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